Kennst du das Gefühl, wenn du plötzlich in Stress gerätst, dein Herz schneller schlägt und dein Kopf nicht mehr klar denken kann? Vielleicht ist es eine knappe Deadline auf der Arbeit, ein unfreundlicher Kommentar von jemandem in der Supermarktschlange oder die Angst, wenn dein Kind auf dem Klettergerüst eine waghalsige Bewegung macht.
Unser Körper reagiert in solchen Momenten oft automatisch – und zwar schneller, als unser Verstand es nachvollziehen kann.
Doch warum ist das so? Und vor allem: Wie können wir lernen, unsere Gefühle zu erkennen und zu regulieren, anstatt von ihnen überwältigt zu werden?
Wenn das Nervensystem Alarm schlägt
Unser autonomes Nervensystem ist ständig im Hintergrund aktiv und scannt unsere Umgebung – oft, ohne dass wir es bewusst mitbekommen. Es entscheidet in Sekundenbruchteilen, ob eine Situation sicher oder bedrohlich ist.
Sympathikus: Wird aktiviert, wenn unser System „Gefahr“ wittert. Das kann echte Gefahr sein – aber auch eine stressige Situation im Alltag. Dein Puls geht hoch, deine Muskeln spannen sich an, dein Körper bereitet sich darauf vor, zu kämpfen, zu fliehen oder zu erstarren.
Parasympathikus: Er sorgt für Entspannung und Erholung. Wenn dieser Teil unseres Nervensystems aktiv ist, fühlen wir uns sicher, ruhig und können klar denken.
Das Problem? Unser Körper unterscheidet nicht zwischen einem echten Notfall und einer stressigen Alltagssituation. Wenn du zu spät zu einem Termin kommst und dein Nervensystem Alarm schlägt, fühlt es sich für deinen Körper genauso an, als ob eine echte Gefahr droht.
Warum „Beruhige dich!“ nicht funktioniert
Stell dir vor, du bist im Stress – vielleicht, weil dein Kind plötzlich auf einen hohen Ast geklettert ist und du Angst hast, dass es stürzt. Dein Herz rast, dein Atem ist flach, dein Körper ist angespannt. Und dann sagt jemand: „Beruhige dich doch!“
Doch genau das klappt in diesem Moment nicht. Warum? Weil dein Nervensystem gerade auf Alarmmodus ist. Dein Körper hat beschlossen, dass jetzt keine Zeit zum Nachdenken ist – sondern zum Handeln. Was es stattdessen braucht, ist eine Regulation, die dein System langsam zurück in die Sicherheit bringt.
Erkenne deine eigenen Muster
Der erste Schritt zur Regulation ist Bewusstheit. Unser Nervensystem reagiert oft aus alten Erfahrungen heraus. Vielleicht hast du als Kind erlebt, dass du dich alleine um Dinge kümmern musstest – und heute gerätst du in Stress, wenn du keine Kontrolle hast. Vielleicht wurde deine Meinung früher nicht gehört – und heute spürst du Wut, wenn dich jemand unterbricht.
Reflektiere für dich:
Welche Situationen im Alltag triggern dich besonders?
Welche Emotionen überrollen dich immer wieder?
Wo reagierst du vielleicht „über“, obwohl du rational weißt, dass keine Gefahr besteht?
Unser Körper speichert Erfahrungen und ruft alte Muster ab. Wenn du immer wieder in ähnlichen Situationen überflutet wirst, könnte es sein, dass dein System aus der Vergangenheit gelernt hat: „Hier bin ich in Gefahr.“
Doch du bist heute nicht mehr dein jüngeres Ich. Dein Körper kann lernen, sich sicher zu fühlen – auch in herausfordernden Momenten.
Selbstregulation: Erste Schritte für dein Nervensystem
Was hilft, wenn die Emotionen überrollen? Hier sind einige somatische Übungen, die dein Nervensystem beruhigen können:
Orientierung im Raum
Wenn du merkst, dass dein Stresslevel steigt, nimm dir bewusst einen Moment, um dich in deiner Umgebung umzusehen. Bewege langsam deinen Kopf und finde fünf Dinge, die du sehen kannst. Dies signalisiert deinem Nervensystem: „Ich bin hier, ich bin sicher.“
Tiefe Bauchatmung
Lege eine Hand auf deinen Bauch und atme tief ein. Spüre, wie sich dein Bauch ausdehnt. Halte den Atem für drei Sekunden und lasse ihn langsam wieder los. Diese Übung aktiviert den Parasympathikus und hilft, innere Anspannung zu lösen.
Vagusnerv aktivieren: Summen oder Gähnen
Summen oder gähnen sind einfache Wege, um den Vagusnerv zu stimulieren, der für Entspannung sorgt. Nimm dir eine Minute Zeit und summe mit geschlossenen Lippen eine tiefe Note – zum Beispiel „Mmmm“ oder „Om“.
Körperliche Bewegung
Wenn du dich in einer Stresssituation festgefahren fühlst, hilft es oft, dich zu bewegen. Schüttle deine Hände aus, wippe mit den Füßen oder drehe deinen Oberkörper sanft von einer Seite zur anderen. Bewegung signalisiert deinem Körper, dass du nicht erstarrt bist – sondern handlungsfähig.
Gefühle erkennen – und mit ihnen umgehen
Gefühle sind nicht „gut“ oder „schlecht“ – sie sind Botschaften deines Körpers. Wenn du lernst, sie zu beobachten, anstatt von ihnen überwältigt zu werden, gewinnst du Handlungsspielraum zurück.
Meine Einladung an dich: Beobachte in den nächsten Tagen bewusst deine emotionalen Reaktionen. Nimm wahr, welche Situationen dich stressen – und welche Übungen dir helfen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Sei geduldig mit dir. - Dein Nervensystem braucht Zeit, um neue Wege zu lernen.
Du bist nicht deine Emotionen. Du hast sie – und du kannst lernen, mit ihnen zu arbeiten.
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